Rezensionen Empfehlung: Ein Buch für Kommunikationsstrategen

Wie Unternehmen und Wirtschaft öffentlich werden, das war einmal in einem relativ einfachen Managementprozess organisierbar. Wissen bereitstellen, im Wesentlichen über Produkte und Dienstleistungen. Und dieses Wissen dann in einseitigen Informations-Prozessen an die relevanten Stakeholder verbreiten. Aber, das war einmal. Wirtschaft 1.0 könnte man das nennen. Heute hat sich dies grundlegend verschoben …

… und zwar in Richtung einer zweiseitigen Kommunikation, in der die Initiative und der Initialstart häufig gar nicht einmal von den Unternehmen ausgeht. Sondern von den Stakeholdern. Das wäre Wirtschaft 4.0, wenn man den Epocheneinteilungen von Jan Lies folgt, der Autor des hier anzuzeigenden Fachbuches ist. Er wendet diese Zählungen regelmäßig in seiner Reflexion des gegenwärtigen Wirtschafts- und Marktgeschehens an, um Weiterentwicklungen systematisch zu verdeutlichen.

„Call out“-Ökonomie

Der Ansatz des promovierten und habilitierten Ökonomen und Hochschullehrers, seit vielen Jahren an der privaten FOM – Hochschule für Oekonomie und Management Professor für Unternehmenskommunikation und Marketing, ist die Systemtheorie in der Tradition Niklas Luhmanns. Mit diesem Theorieansatz unterzieht er das gegenwärtige Verständnis von Management, Märkten, Medien und Kommunikation einer breit ausgespannten Analyse, unter Einbezug relevanter Erkenntnisse der aktuellen wissenschaftlichen Fachliteratur primär aus BWL, Management, Unternehmenskommunikation, Marketingkommunikation, Markenkommunikation, aber auch aus Nationalökonomie, Medien- und Kommunikationswissenschaft. Sein inhaltliches Kernanliegen liegt in zwei Begriffen, die schon programmatischen Untertitel des Buches prägen. Die von ihm sogenannte „Call out“-Ökonomie. Und das Makromarketing.

Das „Call out“ meint das heute vielfach artikulierte öffentlich Werden von einzelnen Meinungen oder in Gruppen organisierten Stimmungen, die sich insbesondere sowohl von Seiten der Mitarbeiter als auch auf Kundenseite aktiv zum Unternehmen äußern. Jedoch kann dies heute genauso bei Gruppen kommunikativ wirksam werden, die mit dem Unternehmen gar nicht als Stakeholder im engeren Sinne interagieren (z.B. NGOs). Dies kann positiv wirken, wenn sich interne wie externe Markenbotschafter, Influencer oder Markenevangelisten enthusiastisch über Marken äußern. Oder Kunden durch Kommunikation in die Produktverbesserung einbezogen werden. Oder die konstruktive Stimme der Mitarbeiter durch moderne Formen des Leadership stärker gehört werden können.

Kommunikative Wende

Es kann aber auch ganz anders herum negativ und sogar zerstörerisch wirken, in Form von Firestorms, Shitstorms, Cancel Culture oder Marken-Party-Crushing. Social Media und Digitalisierung bilden die Grundlage für ein völlig verändertes Mediengeschehen. Die Kommunikations-Initiative liegt dann gar nicht mehr bei den Unternehmen, aber das Management muss all das registrieren, sehen, aufgreifen, integrieren und adäquat antworten. Vor allem, wenn wirkmächtige Narrative entstehen und in die Wahrnehmung, Image, Reputation der Unternehmen massiv eingreifen. Dies beschreibt Jan Lies mit großem Recht als eine wahrhaft fundamentale und notwendige kommunikative Wende von Management und Märkten.

Und beim Bedeutungszuwachs des Makromarketings geht es dem Autor um das Betonen der gesellschaftsbezogenen Perspektive, um die das heutige professionelle Management von Kommunikation kaum noch herumkommt. Und auch gar nicht herumkommen sollte. Nämlich um die Vermittlung von Sinn, die Integration von Werten, das Hören auf Nachhaltigkeits-Anforderungen, Beachtung von Ethik- und Moral, die öffentliche Vermittlung eines unternehmerischen Beitrags nicht nur zugunsten der eigenen Wertschöpfung, sondern der Wertschöpfung für das Gemeinwohl.

Ein anspruchvolles Buch

Das alles wird in einer großen Gesamtschau mit dem Grundverständnis von Wirtschaft als Kommunikation ausgerollt. Einfach macht es der Autor dem Leser durchaus nicht. Es ist ein anspruchsvolles, Theorie-orientiertes Buch, das zahlreiche Fachbegriffe verwendet. Auch wenn Letztere immer sofort definiert werden, das verlangt schon eine Menge an Konzentration bei der Lektüre. Akademische Fachliteratur ist in reichem Maße eingearbeitet und zitiert und mit einem eindrucksvollen 54-seitigen (!) Literaturverzeichnis unterfüttert.

Der große Vorzug dieses Buches im Unterschied zu vielen anderen auf dem Markt: Lies geht nicht einseitig von einem entweder eher sozialwissenschaftlichen Verständnis der Unternehmenskommunikation oder einem eher einseitig betriebswirtschaftlichen Verständnis von Marketingkommunikation aus – er hat die fachlichen Kompetenzen, beides in eine ausgewogene Synthese zu bringen.

Ein Buch für Kommunikationsstrategen

Und so dürften vor allem akademisch orientierte Leser von der Lektüre profitieren. Durchaus nicht nur in der Scientific Community der Hochschulen. Zum Beispiel jene, die in strategisch ausgerichteten Kommunikationsagenturen die Fachdiskussion und die Trends in der Unternehmens- und Marketingkommunikation verfolgen. Sie werden vieles von den behandelten Tendenzen und Entwicklungen kennen – oder wenigstens schon einmal davon gehört haben. Aber kaum in den Zusammenhängen, die Lies souverän und überzeugend herstellt.

Der Kommunikations-Praktiker, der nach einfachen Rezepten und Übertragungen und Anwendungen in seinen Alltag sucht, wird in dem Buch definitiv nicht fündig. Der Kommunikations-Stratege, der sein Unternehmen gegenwartsfest positionieren will, dagegen sehr. Und jeder, der in der universitären, hochschulischen oder sonstigen Erwachsenenbildung Themen der Wirtschaftskommunikation behandelt. Denn hier wird er vieles finden, was er in den eignen Unterricht integrieren kann. Die 64 Abbildungen und 63 Tabellen, die meisten davon großformatig und inhaltlich-begrifflich differenziert ausgearbeitet, sind eine glänzende Visualisierung und komprimierte Verdichtung dessen, was Lies im Fließtext diskutiert.

Titel: Wirtschaft als Kommunikation – Kommunikation als Wirtschaft. Call out-Ökonomie, Makromarketing und Kommunikationstheorie aus Sicht der Systemtheorie; Autor: Jan Lies; Verlag: Metropolis, Marburg 2023; Umfang: 394 Seiten; Preis: 38,00 Euro; ISBN 978-7316-1557-6

Über den Autor der Rezension: Professor Dr. Markus Kiefer (65) war von 2010 bis Ende des Sommersemesters 2022 hauptberuflich an der FOM – Hochschule tätig, als Professor für Allgemeine BWL, mit dem Schwerunkt Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Seit dem Wintersemester 2022 nimmt er an der FOM und im Wechsel an weiteren Hochschulen Lehraufträge mit Schwerpunkt PR und Unternehmenskommunikation wahr.

Hoffnungsbuch von Professor Kiefer
Zusätzlich an dieser Stelle noch der Hinweis, dass Professor Kiefer gemeinsam mit Norbert Hüsson Anfang Dezember 2023 selbst ein Buch herausgegeben hat. Aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Kinder- und Jugendhospizes Regenbogenlands in Düsseldorf ist das „Hoffnungsbuch“: „Alles, was bleibt, ist Licht“ erschienen. Es enthält zahlreiche Beiträge von Freunden und Förderern der Kinder- und Jugendhospizarbeit. Erhältlich ist es im Online-Shop des Herder-Verlags. Ein ausführlicher Lesehinweis zu diesem Buch findet sich hier im PR-JOURNAL.

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